Qualitätsverbund

Orthopädie e.V.


2012 haben sich nieder­gelassene und konservativ klinisch tätige sowie operativ tätige Orthopäden und Unfall­chirurgen im regionalen Qualitäts­netzwerk "Orthoport" zusammen­geschlossen. Ziele des Qualitäts­verbundes sind die best­möglich fokussierte und hoch­qualitative konservative und operative Behandlung ortho­pädischer Patienten.

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Verschiedenes und Aktuelles


27.11.2018  –  Stellungnahme der AGA zum SPIEGEL-Artikel „Leben ohne Schmerz“  vom 17.11.2018

Zu dem Artikel „Leben ohne Schmerz – Rücken, Schulter, Knie – wie sich Operationen vermeiden lassen“ im SPIEGEL, Nr. 47 / 17.11.2018, nimmt die AGA Gesellschaft für Arthro­skopie und Gelenk­chirurgie wie folgt Stellung:

 

Auch aus unserer Sicht ist es wünschenswert, dass dem Gespräch mit dem Patienten deutlich mehr Zeit eingeräumt wird. Das Ziel sollte immer sein, durch die persönliche Kenntnis des Patienten und der sozialen Umstände einen individuellen Therapieplan festzulegen, der sorgfältig alle konservativen und operativen Therapie­optionen mit einbezieht und abwägt. Die Schluss­folgerung aber, eine Vielzahl von Operationen durch Gesprächs­therapien ersetzen zu können, ist nicht richtig. Es gibt klare wissenschaftliche Kriterien für die Indikations­stellung zu Operationen. Die AGA macht sich durch Aufklärung, Fort- und Weiterbildung und wissen­schaftliche Arbeit dafür stark, dass Indikationen auf dem neuesten Stand des Wissens gestellt werden.

 

Die zitierte Studie von Andrew Carr hat gezeigt, dass eine isolierte subacromiale Dekompression (SAD) bei unspezifischen Impingement­schmerzen in der Schulter der konservativen Therapie nicht signifikant überlegen ist. Die AGA teilt das Fazit der Studie, dass bei genau diesen Indikationen die operative SAD zu Recht in Frage zu stellen ist. Eine Ver­allgemeinerung auf Schulter­schmerzen und Funktions­einschränkungen, die mannig­faltige Ursachen haben können, ist aber keineswegs zulässig.

 

Die AGA bestätigt auch die Moseley-Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass bei fortgeschrittener Arthrose eine Gelenktoilette des Kniegelenks keinen therapeutischen Nutzen für den Patienten hat.

 

Ein verzerrtes Bild gibt der Artikel jedoch bei der generellen Darstellung der Schulter- und Kniearthroskopie: Die Operations­technik „Arthroskopie (Gelenk­spiegelung)“ wird bei einer Vielzahl von Indikationen bei den genannten Gelenken eingesetzt. Sie kann aber nicht mit den isolierten Eingriffen „subacromiale Dekompression“ und „Gelenk­lavage“ bei Knie­arthrose gleichgesetzt werden. Diese stellen nur einen Bruchteil der arthros­kopischen Opera­tionen dar. Die minimal-invasive Gelenk­chirurgie leistet eine Vielzahl rekonstruktiver Eingriffe, wird aber im Artikel nur auf „Gelenk­toilette“ und „Knochen­fräsen“ reduziert.

 

Denn die Arthroskopie ist eine Technik und keine Pathologie­behandlung. Während noch vor rund 20 Jahren Sehnen­nähte der Schulter oder Kreuz­band­operationen einen mehr als 7-tägigen Kranken­haus­aufenthalt erforderten, können diese heute so minimal invasiv durch­geführt werden, dass der Patient in der Regel nach dem Eingriff nach Hause gehen kann.

 

Die von Ihnen genannten Operationszahlen beim Impin­gement-Syndrom der Schulter suggerieren einen signifikanten Anstieg der SAD von 2008 bis 2015 um 30 Prozent. Auch hier ergibt eine genauere Analyse ein ganz anderes Bild: Die SAD ist häufig nicht der alleinige Eingriff sondern erfolgt lediglich begleitend z.B. bei der Naht einer gerissenen Schultersehne bzw. bei Kalkentfernung. Während 2008 noch häufiger offen operiert wurden, erfolgen diese Operationen heute in der Regel arthroskopisch.

 

 

Die uns vorliegenden Zahlen des statistischen Bundesamtes zeigen eine Abnahme der stationären SAD gesamt (offen/arthroskopisch) von 2010 bis 2017: 104.894 (19.998/84.896) zu 102.062 (12.086/89.976) – fast drei Prozent weniger. Da in diesem Zusammenhang OPS Codes betrachtet werden, kann keine Aussage darüber getroffen werden, wie viele subacromiale Dekompressionen als Einzel- oder Begleiteingriff vor­ge­nommen wurden. Somit ist Ihr beschriebener Anstieg dieses isolierten Eingriffes nicht mit der Realität gleichzusetzen.

 

Es ist richtig, dass jede Operation ein gewisses Risiko für den Patienten darstellt. Die Infektionsraten z.B. bei arthro­skopischen Eingriffen des Knie­gelenkes ohne Band­rekon­struktion liegen allerdings unter 0,1% (Balato et al. Joints 2017). Die Infektions­rate bei Schulter­arthroskopien mit Sehnen­rekonstruktion unter perioperativer Antibiotika­prophylaxe liegen bei unter 0,3% (Pauzenberger et al. KSSTA 2016). Diese Einordnung würde ein ganz anderes Bild zeichnen. Hingegen ist auch eine konservative Therapie mit Risiken für den Patienten verbunden, z.B. bei Infiltrationen (Spritzen­behandlung). Dieses Risikoprofil wird im Artikel jedoch komplett außen vor gelassen. Vielmehr wird das Risiko betont, in Folge eines arthro­skopischen Eingriffs schwer­wiegende Kompli­kationen zu erleiden bis hin zum Tod. Diese Darstellung ist aus unserer Sicht irreführend.

 

Um den Erfolg von Operationen objektiv messbar zu machen und die Bewertung eben nicht allein dem Operateur zu überlassen, hat die Gesellschaft für Arthroskopie und Gelenk­chirurgie (AGA), gemeinsam mit dem dem Berufs­verband für Arthroskopie (BVASK) und der Gesellschaft für Orthopädisch-Trauma­tologische Sport­medizin (GOTS) in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfall­chirurgie (DGOU) im Oktober 2017 in Eigen­initiative das deutsch­sprachige Arthro­skopieregister (DART) ins Leben gerufen. Hier werden Patienten­daten zu arthro­skopischen Eingriffen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zentral erfasst und wissen­schaftlich ausgewertet. Ärzten, Praxen und Kliniken steht das Register zur lang­fristigen Sicher­stellung ihrer Qualität zur Verfügung.

 

Die zitierte gemeinsame Stellung­nahme von sieben Gesellschaften und Verbänden der Orthopädie und Gelenk­chirurgie wurde vom Autor falsch verstanden: Die Unter­zeichner unterstützen wie weiter oben dargestellt das Studien­ergebnis der im Journal „Lancet“ veröffentlichten pragmatischen, randomisierten multizentrischen CSAW-Studie bei korrekter Betrachtung, kritisieren allerdings auch methodische Schwächen der Studie. Die Unterzeichner wehren sich aber gegen die Interpretation der Studien­ergebnisse durch die Laienpresse, die das gesamte Feld der (Schulter)-Arthroskopie unter General­verdacht - und seit Jahren erfolgreiche Behand­lungs­standards in Frage - stellt. Die wissen­schaftlich nicht differenzierte Interpretation „Schulter­arthro­skopie bringt nichts“ führt zu einer klaren Fehl­information der Bevölkerung.

 

Abschließend postuliert der Artikel die Forderung, Menschen ab 35 Jahren nicht mehr zu arthro­skopieren, da „sie so gut wie nichts davon hätten“. Dies würde im Umkehr­schluss bedeuten, dass bei ausge­schöpfter konservativer Therapie und beginnendem Gelenk­verschleiß die nächste Operation immer der Gelenk­ersatz ist. Es würde aber auch bedeuten, dass arthro­skopische rekonstruktive Eingriffe nach Unfällen, wie zum Beispiel Bandnähte oder Bandersatz zur Stabilisierung eines Gelenkes, oder die arthro­skopisch kontrollierte Wieder­herstellung einer glatten Gelenk­fläche z.B. nach einem Schien­beinkopf­bruch für den Patienten keinen Nutzen hätten. Soll dies die Zukunft der Gelenk­medizin sein?

 

Die AGA hat als oberstes Ziel den Gelenk­erhalt. Eine Endo­prothese sollte erst dann das Mittel der Wahl sein, wenn es nicht mehr sinnvoll möglich ist, die schmerz­freie Funktion eines Gelenkes wieder­her­zustellen. Die Arthroskopie hilft als operations­technisches Verfahren, eine Vielzahl an Verletzungen oder Gelenk­erkrankungen minimal-invasiv und schonend mit wissen­schaftlich gesicherten positiven Ergebnissen zu behandeln! Wie in allen Bereichen bedarf es einer differen­zierten Betrachtung, die im vor­liegenden Artikel aus unserer Sicht nicht gegeben ist. Verall­gemeinerung und das Verteufeln von Operationen im Grund­sätzlichen helfen nicht, die medizinische Versorgungs­lage unserer Patienten besser und sicherer zu machen.

 

 

Prof. Dr. med. Helmut Lill (AGA-Präsident)

Dr. med. Philipp Heuberer (AGA-Vizepräsident)

PD Dr. med. Sepp Braun (AGA-Pressesprecher)